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Round Table mit
Ricco Bilger, Buchhändler, Verleger, Festivalveranstalter,
Zürich/Leukerbad
Nikolaus Hansen, Verleger, Mare Buchverlag, Hamburg
Ursula März, Autorin, Literaturkritikerin, Berlin
Hubert Spiegel, leitender Redakteur Literatur und literarisches
Leben, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt/Main
Rainer Groothuis, Geschœftsführer Groothuis, Lohfert, Consorten,
Hamburg
Moderation: Denis Scheck, Deutschlandfunk, Köln
Donnerstag, 20. März 2003, 13.00 Uhr Neue Messe, Congress Center
Leipzig, Mehrzweckfläche 1
Eine Veranstaltung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
e. V. / Leipziger Büro in Zusammenarbeit mit der Leipziger Messe
Foto:
Leipziger Messe / Tom Schulze
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Die Literatur besteht dummerweise
aus stillen Worten (Ursula März) 5:54 |
Pressestimmen
"Laute Bücher" hieß eine Podiumsdiskussion auf
der Leipziger Buchmesse. Es ging um die Frage der Literaturvermarktung,
der Inszenierung von Büchern, um den Eventcharakter literarischer
Festivals. War die Walser-Debatte die neueste Extremform von Literaturmarketing?
Zeigt die Hochkonjunktur der öffentlichen Lesung eine Begeisterung
für Literatur an, oder drückt sich darin eher - wie die Literaturkritikerin
Ursula März fürchtete - das Unbehagen aus, dass Bücher
nur aus stillen Worten bestehen? "Buchhandlungen schließen,
Festivals blühen", konstatierte sie mit kulturpessimistischem
Grimm. Die Sumpfblüten dürften nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die Literatur als kulturelles Leitmedium ausgespielt habe.
Wer in diesem Jahr über die Leipziger Buchmesse schlenderte oder
eine der zahllosen Veranstaltungen des Rahmenprogramms "Leipzig liest"
besuchte, der konnte feststellen, dass die Stimme des physisch präsenten
Autors einen anderen Reiz entfaltet als die stillen Buchstaben.
Ijoma Mangold, Süddeutsche Zeitung
Foto:
Leipziger Messe / Tom Schulze
"Laute Bücher" waren das Thema einer gut besuchten Podiumsdiskussion
unter Leitung des allgegenwärtigen "Druckfrisch"-Moderators Denis
Scheck. "Laut" meinte dabei den Lärm, der durch Werbemassnahmen
veranstaltet wird, die so genannte "Eventisierung" des Buches. Die wurde
auf dem Podium zugleich gefordert ("Jedes Buch hat das Recht auf Inszenierung")
und beklagt ("Das Buch verschwindet hinter dem Event"). Auch die Verlage
bekamen uneindeutige Ratschläge: Einerseits sollten sie ihr Profil
schärfen, andererseits können sie es auch lassen, denn der
Leser kaufe nicht nach dem Verlagsnamen. Ricco Bilger, der die Rolle
des armen, von den Deutschen immer übersehenen Schweizers in der
Runde etwas zu penetrant spielte, fand immerhin die salomonische Event-Formel:
"stimmig" müsse es sein - wie das von ihm organisierte Festival
in Leukerbad.
Martin Ebel, Tagesanzeiger
Wenn hochkarätige Vertreter der Buchwelt zu einem Podium zusammenfinden,
um über die Flut von Literaturevents zu debattieren, entsteht zuweilen
nicht mehr als eine Kette gut formulierter Einzelinszenierungen - zusammengefügt
ergeben sie doch ein Ganzes: Es ist ein Zuviel an Veranstaltungen für
Literatur im Angebot.
Carlo Bernasconi, Schweizer Buchhandel
Foto:
Waldek
Wie man sehr, sehr viele Menschen unwiederstehlich zu Lesungen aufs
Messegelände, in die Bibliothekssäle, Kellerbars und Kulturzentren
andererseits lockt, davon haben sie zweifellos eine Ahnung in Leipzig;
wieder ist das ostdeutsche Großereignis trotz Kriegsbeginn und
sibirischen Temperaturen mit einem Rekordbesuch zu Ende gegangen. Insofern
ist die Idee, Literatur müsse Event werden, um erfolgreich zu sein,
aufgegangen. Bloß: was ist das für ein Erfolg? Gekauft sind
die Bücher noch lange nicht, wenn die Massen zu den Autoren strömen.
Vom Lesen ganz zu schweigen. Diese Beobachtung durchzog eine Diskussion
unter der überschrift "Laute Bücher", bei der Podiumsteilnehmer
wie die Kritikerin Ursula März und der FAZ-Literaturchef Hubert
Spiegel sich einig waren, dass die seit dem Sturm und Drang üblichen
Selbststilisierungsstrategien von Autoren mit dem Eigentlichen, den
"stillen Dingen", sprich, den Büchern, wenig zu tun haben und deshalb
auch den Kritiker nicht groß interessieren. Dennoch fragte Spiegel
mit Recht: "Wie kommt es, dass der Zulauf zunimmt und der Buchverkauf
zurückgeht?" Der Buchgestalter und - promotor Rainer Groothuis
führte das auf die demografische Entwicklung zurück; schon
immer habe lediglich eine stabile Minderheit gelesen, und nun, da die
Gesamtbevölkerung schrumpfe, werde auch diese lesende Minderheit
kleiner. Es gebe keine Krise des Lesens, nur schlechtes Handwerk: "Jedes
Produkt hat ein Recht auf Inszenierung", auch ein Buch, man müsse
es nur richtig machen. So wie er.
Julia Schröder, Stuttgarter Zeitung
Die Schweiz machte in Leipzig auch anderweitig von sich reden. Bei der
Verleihung des Deutschen Bücherpreises dominierte der Diogenes-Verlag
die Belletristik-Preise... Bei der "Swiss Club Night" versuchten sich
Dichter im "Sprach-Dressurreiten". Der Aufbau-Verlag bekam einen Preis
für seine Werbekampagne für den letzten Zoe-Jenny-Roman. Und
der Verleger Ricco Bilger machte bei einer Podiumsdiskussion heftig
Werbung für sein Literaturfestival in Leukerbad. Marketingtechnisch
ein ziemlicher Erfolg.
Sven Boedecker, NZZ SonntagsZeitung
Ein Artikel im "Schweizer Buchhandel", der sich jüngst mit dem
Schweizer Auftritt an der Leipziger Buchmesse beschäftigte, trägt
den Titel "Solo für Ricco".
Christoph Gilberg, BuchMarkt
Foto:
Waldek
überall wird mit Anstrengung und Energie nach Intensitätsformeln
geforscht, um der Leere zu entgehen. Und als leer muß alles gelten,
was nicht starkt Laut von sich gibt oder heftig Signalfarben absendet.
Und so treibt eine seltsam widerspenstige Fantasie ihr freches Unwesen
im eventgeschüttelten Kopf: Man stelle sich vor, in besonders betriebsreger
Stunde eines der Tore zu den weiträumig sich wölbenden Messehallen
zu betreten; man trifft auf den gewohnt dichten Menschenstrom, aber
dieses wirbelnde, quirlende, unablässig summende Wesen hat sich
auf unerklärliche Weise vereinzelt, alle sitzen verstummt auf dem
Boden, in den Ecken, an den Ständen - und lesen sich - jeder ganz
in sich versunken - durch eine wundervolle Stille hindurch. Natürlich
würde sofort eine aufgeregte, sensationelle Meldung die Runde machen.
Und vom größten, wundersamsten und perfekt inszenierten Event
seit Bestehen der Buchmesse berichten.
Hans-Dieter Schütt, Neues Deutschland
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Solo für Ricco (Ricco Bilger)
10:17 |
Die Diskussionsteilnehmer
Ricco
Bilger, geboren 1956, wächst im Bade-
und Bergkurort Leukerbad in den Walliser Alpen auf. 1983 gründet
er seine Buchhandlung sec52 in Zürich an der Josefstrasse im heutigen
Trendquartier Kreis 5. Schon bald verläßt Bilger mit Lesungen
die Grenzen der Buchhandlung: Er veranstaltet eine legendäre Lesereihe
in der Bar el Internacional, 16 Lesungen Zur Blauen Stunde um 05.30
auf dem Herzbaracke-Schiff auf dem Zürichsee, Lesungen auf Gletschern,
in Kellern, Fabriken und Gewächshäusern. 1993 gründet
Bilger eine Buchhandlungsfiliale sec 52 in Leukerbad; parallel dazu
entsteht eine Lesereihe in Zusammenarbeit mit dem Hotel les Sources
des Alpes. 1994 kommt es zur Gründung des Ricco Bilger Verlags,
aus dem am 1.1.2001 die Bilgerverlag
GmbH entsteht. 1996 erstes Internationales Literaturfestival »würfelwort
komma dampf« in Leukerbad. Dieses Festival findet vom 4.-6.7.2003
zum achten mal statt.
Copyright:
Markus Schädel |
Nikolaus Hansen, geboren 1951, lebt in Hamburg.
Nach einer zweijährigen Weltumsegelung Studium der Philosophie, Anglistik
und Geschichte in Konstanz und Hamburg. Nach freiberuflicher Arbeit als
übersetzer wurde Hansen verlegerischer Geschäftsführer
zunächst des Weismann Verlags (heute Antje Kunstmann Verlag), dann
des Verlags Rogner & Bernhard und später des Rowohlt Verlags. Seit
2001 ist Nikolaus Hansen Verleger des neugegründeten Marebuchverlags.
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Krise auf hohem Niveau (Nikolaus
Hansen) 2:32 |
Ursula
März, geboren 1957 in Franken. Studium der Philosophie und Germanistik,
danach Mitarbeiterin bei "Frankfurter Rundschau", "Zeit" und der ARD.
1991 Essay-Preis beim Publizistik- Wettbewerb in Klagenfurt. 1999 Buch-veröffentlichung
"Du lebst wie im Hotel", eine Biografie über R Soupault. Jurorin
beim 27. Ingeborg- Bachmann- Wetttbewerb in Klagenfurt im Juni 2003. Ursula
März lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
Hubert
Spiegel, geboren 1962 in Essen, studierte Soziologie, Politikwissenschaft,
Germanistik und Geschichte in Tübingen und Freiburg. Ins Feuilleton
der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung führte 1988 eine dreimonatige Hospitanz, der ständige
freie Mitarbeit, etliche Theaterkritiken und nach dem Examen 1991 die
Kulturberichterstattung aus Baden-Württemberg folgten. Seit Oktober
1993 Redakteur im Feuilleton der FAZ; zunächst befaßt mit der
inzwischen eingestellten Tiefdruckbeilage "Bilder und Zeiten", seit 1994
Redakteur im Literaturblatt. Heute leitet Spiegel das Ressort "Literatur
und literarisches Leben" der FAZ.
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Literaturvermarktung oder Literaturkritik
(Hubert Spiegel) 9:22 |
Rainer Groothuis, 44, ist Geschœftsführer der Hamburger Agentur
für Kommunikation, Marketing und Gestaltung, Groothuis,
Lohfert, Consorten. Seit mehr als 20 Jahren in der Buchbranche tœtig,
hat er seine Erfahrungen und Erkenntnisse in seinem Buch "Wie kommen
die Bücher auf die Erde?" festgehalten. Seine Agentur konzipiert
und gestaltet für Verlage und Unternehmen wie die Mediengruppe Bertelsmann/Random
House, den DuMont Literatur und Kunst Verlag, die Drœgerwerke AG oder
die Stiftung Jüdisches Museum.
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Jedes Buch hat das Recht auf seine
Inszinierung (Rainer Groothuis) 3:51 |
Denis
Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, ist Literaturredakteur beim Kölner
Deutschlandfunk. Nach dem Studium der vergleichenden Literaturwissenschaft
und Zeitgeschichte in Tübingen, Düsseldorf und Dallas hat er
als literarischer Agent, übersetzer, Lektor und freier Kritiker gearbeitet.
Das Spektrum der Bücher, die er ins Deutsche gebracht hat, reicht
von Kriminalromanen der britischen Schriftstellerin Ruth Rendell über
Romane und Erzählungen von Michael Chabon ("Die Geheimnisse von Pittsburgh")
bis hin zu Prosa von Robert Stone. Für seine Arbeiten zur amerikanischen
Gegenwartsliteratur ("Hell´s Kitchen") und sein Lexikon über Trivialmythen
made in USA ("King Kong, Spock & Drella") wurde er mit dem Kritikerpreis
des deutschen Anglistentags ausgezeichnet. Bis 2002 war Scheck Juror beim
Klagenfurter Ingeborg-
Bachmann- Wettbewerb. Seit Februar präsentiert er unter dem Titel
"Druckfrisch!"
das neue Bücher-Magazin der ARD.
Dank an: goldwiege
/ visuelle projekte
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