bücher.macherunterwegs in der deutschen verlagslandschaft












bücher.macher #2
Buchgestaltung = Produktdesign

Ein Sommerfest am 25. 6. 1998
Ausstellung vom 26. 6. bis 30. 7. 1998 im Haus des Buches, Leipzig

18 Uhr: Diskussionsrunde: Buchgestaltung = Produktdesign?
Mit Ekkehard Faude (Buchhändler und Verleger), Rainer Groothuis, Gottfried Honnefelder (Verleger DuMont Buchverlag), Victor Malsy und Klaus Wagenbach (Verleger)
Moderation: Martin Bauer (Cheflektor Fischer Taschenbuchverlag)

19.30 Uhr Ausstellungseröffnung
Buchgestaltung = Produktdesign
Arbeiten von Groothuis+Malsy

20.30 Uhr
Autorenlesung
DuMont Literatur: Das erste Programm
Vorgestellt von Gottfried Honnefelder

Außerdem
Schallplattenunterhaltung und Illumination:
Shining, Berlin

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bücher.macher, die zweite: Mit einem Sommerfest im Ausstellungshof und Garten des "Haus des Buches" wird am 25. Juni 1998 eine Ausstellung der vielfach preisgekrönten Agentur Groothuis+Malsy eröffnet. Eine hochkarätig besetzte Gesprächsrunde und eine Autorenlesung runden den Abend ab. "Neue Hosen" titelt das BÖRSENBLATT (Nummer 53/3. Juli 1998) seinen Bericht

Real Audio Hörprobe:
Diskussion 1 (Bauer, Faude, Honnefelder, Malsy)
Diskussion 2 (Bauer, Wagenbach)
Diskussion 3 (Bauer, Honnefelder)

"Mehr lesen, mehr wissen, mehr können": Ekkehard Faude freute sich beim Aufwärmspaziergang im Grafischen Viertel diebisch über das LKG-Leuchtreklame-Männchen, das mit nicht vergehendem 60er-Jahre-Charme sein optimal viereckig geformtes Buch schwenkt. Damals schien die Sache noch klar, doch die Zeiten haben sich gründlich geändert. Im Schaufenster der Kiepenheuer-Buchhandlung vis-a-vis blinkte Faude ein Buch aus dem Berlin Verlag entgegen, das sich bei näherer Betrachtung als Malik-Titel entpuppte. Daneben eine Hanser-Novität? Hoppla: Piper. Die Episode beschreibt plastisch den Zustand einer Verlagslandschaft, in der Klaus Wagenbach die "Verschleifung des äußeren Erscheinungsbilds" einzelner Programme auf dem Vormarsch sieht. "Buchgestaltung = Produktdesign?" Ein Gleichheitszeichen, das im einstmaligen Mekka der Buchgestaltung, trotz Badewetter und allfälliger Weltmeisterschafts-Zitterpartie der deutschen Balltreter, provozieren konnte? Der Zulauf war enorm. Eine hochkarätig besetzte, von Martin Bauer (Cheflektor Fischer Taschenbuchverlag) souverän moderierte Runde war zum Auftakt der zweiten >bücher.macher<-Nacht angetreten, die Janusköpfigkeit der "geheiligten Ware Buch" (Brecht) unter die Lupe zu nehmen. Kein Zweifel, Bücher sind unverzichtbare Kulturgüter. Unter den sich ständig verschärfenden Wettbewerbsbedingungen sind sie jedoch zugleich Produkte, die an den Leser gebracht - sprich: verkauft - werden wollen. Was für die Hersteller von Milchtüten, Kühlschränken und Luxuslimusinen längst kein Thema mehr ist, ruft in der von traditionellen Strukturen geprägten Buchbranche noch immer die Bedenkenträger auf den Plan. "Man schaut lieber auf ein bekanntes Elend, als einer unbekannten Freude entgegenzugehen."



Victor Malsys trübes Fazit zur gestalterischen Lage der Nation sparte die Mitdiskutanten auf dem Podium ausdrücklich aus. 14 Jahre, von 1982 bis 1996, arbeitete sein heutiger Partner Rainer Groothuis als Hersteller im Verlag von Klaus Wagenbach, der immer wieder - so nicht zuletzt mit der 1987 begonnenen Salto-Reihe - demonstrierte, wie auch in scheinbar festgefügten Buchhandels-zeiten neue Märkte zu besetzen sind. Auch nach Groothuis‘ Weg in die Selbständigkeit hielt die Verbindung; zuletzt sorgte der gelungene Relaunch der Wagenbach-Taschenbücher durch G+M für Aufsehen und Auszeichnung (u. a. Merit Award des renommierten Art Directors Club, New York). Gottfried Honnefelder, seit Anfang 1997 geschäftsführender Gesellschafter bei DuMont , beauftragte die Bremer Agentur mit der Gestaltung und Markteinführung der neuen Programmlinen Monte und DuMont Literatur - mit nicht weniger als 21 Novitäten einer der spektakulärsten und meistdiskutiertesten Neustarts des diesjährigen Bücherherbstes.

Nicht zuletzt dieser Auftritt zeigt, das die Verpackung ein durchaus ernstzunehmender Faktor im Kontext von Marketingstrategien sein kann. Problematisch wird es, wenn eine als Produktdesign auftretende Buchgestaltung Programm-Identitäten, ja die kulturelle Physiognomie eines Verlags nur suggeriert - und nicht wirklich umsetzt. Libelle-Verleger Faude warnte mit augenzwinkerndem Blick aufs Sommerlochthema Viagra davor, Buchgestaltung lediglich als "potenzsteigerndes Mittel" zu verabreichen. Faude plädierte stattdessen für einen "homöopathischen Einsatz der Mittel", nur so ließe sich die Kommunikation mit dem "unbekannten Leser" in Gang bringen: "Aufputschmittel können kurzfristig Erfolg bringen. Die Bücher sehen dann allerdings schon in der übernächsten Saison aus wie Nachbars Lumpi nach dem letzten Regen." Ob sich im wildbewegten Meer der Buchstaben und Zeichen die alte Weisheit "less is more" durchsetzen, ein grummelnder Überdruß im Sortiment und bei vielen Lesern angesichts geballter Schrillheit zu klassischer Einfachheit führen wird, steht dahin.

Die mehr als 30jährige Wagenbach-Geschichte zeichnet - von den ersten schwarzen "Quartheften" der Mitsechziger zum jüngsten Lifting der Taschenbücher - seismographisch die Reaktionen der Gestalter auf den Zeitgeist nach. Auch Wagenbach kennt das "Persil-Problem" - was bei Waschmitteln den Erfolg garantiert, kann bei Büchern tödlich sein: "Wenn eine Marke besonders gut durchgestzt ist, wird sie für den Verleger gefährlich." Das "Neue-Hosen-Prinzip" kann helfen - freilich nur, wenn die Verlagsidentität nicht in der Änderungsschneiderei abhanden kommt. "Das Geheimnis guter Buchgestaltung", sprang Honnefelder dem Kollegen bei, "scheint einerseits darin zu bestehen, daß man dem ´vagierenden Leser´ aufs Maul schaut - andererseits auf eine konstruktive Differenz zum Gängigen achtet". Gern werde zudem vergessen, daß sich Bücher nicht nur gegen andere Bücher durchsetzen müssen, sondern heute mit dem geballten Arsenal der Freizeitindustrie konkurrieren. "Eine große Aufgabe, die von den Gestaltern dringend innovative Angebote verlangt". Honnefelder riet dringend zum Abschneiden alter Zöpfe: "Die Branche ist gefragt, an dieser Stelle noch viel mehr zu tun."

Der frische Wind aus Bremen trägt ordentlich zum Durchlüften der Köpfe bei. Die gekonnt in Szene gesetzte Ausstellung im Haus des Buches unterstreicht nachdrücklich, daß Gestaltung für die Agentur Groothuis + Malsy vor allem eine kommunikative Herausforderung ist - egal, ob es sich um ein avantgardistisches Buch-Experiment wie Frederike Freis "Unsterblich" (Dölling und Galitz, 1997) oder den neuen Auftritt der einst in Leipzig aus der Taufe gehobenen Büchergilde Gutenberg handelt. Nicht immer klappt die Kommunikation auf Anhieb: Ein Leipziger Bibliophiler etwa fegte beim Studium des "belüfteten" Büchergilde-Magazins sein Rotweinglas vom Tisch; die Gestalter versprachen Ersatz. "Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal solche Bücher machen", hat einer dem aus Tapetenbahnen improvisierten Gästebuch anvertraut, dazu ein Problem: "Zuviel corporate design von Groothuis + Malsy in eigener Sache behindert Individualitat des cd der Verlage...will sagen, wieso sehen jetzt neuerdings die Bücher von DuMont aus wie Rotbuch wie eva wie Wagenbach?" Arg übertrieben - gemeinsam ist den Auftritten, daß sie frischer und frecher daherkommen, als es im Land der Dichter und Denker gemeinhin üblich ist.

Daß Büchermacher an einem lauen Mitsommerabend nicht nur übers Büchermachen diskutieren wollen, leuchtet glatt ein. Der DuMont-Geschäftsführer stellte einen klagenfurtverdächtigen Debütanten seines Literaturprogramms vor: Oscar Heym, 1967 nahe Köln geboren und heute dort als Rechtsanwalt praktizierend, schlug die Zuhörer im Ausstellungshof mit einer Passage aus seinem Roman "Kurkonzert" in Bann; gelungene Lesepremiere eines Autors, von dem man noch hören wird. Bis weit in die Nacht trubelte es in Haus und Garten zwischen den skurrilen Leuchtplastiken der Berliner Künstlergruppe Shining - zweimal allerdings wurde die Szenerie durch Jubelschreie einer fernsehenden Fangemeinde aufgeschreckt. Gottfried Honnefelder fieberte mit und bekam nach Mitternacht das passende Geburtstagspräsent: einen von sämtlichen Büchermachern signierten Fußball.

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Auch Ralph Gambihler beschäftigte sich mit Wagenbachs "Neue-Hosen-Prinzip" ("Neue Hosen für den alten Walser", Leipziger Volkszeitung vom 27./28. Juni 1998):

Es ging um die heilige Ware Buch und darum, ob es ein Sündenfall sei, dieser Ware mit dem weniger heiligen Mittel Produktdesign zu leibe zu rücken. Produktdesign! Normalerweise läßt einen dieses Wort eher an Mixer, Mundduschen oder amerikanische Kühlschränke denken. Was aber haben schreiende Farben und schräge Formen in der Gutenbergschen Galaxis verloren? Oder ist die Behauptung falsch, daß der Produktdesigner bloß Blendwerk fabriziert und deshalb mit dem guten alten Buchgestalter nichts, aber auch gar nichts gemein hat?

In Leipzig hat man natürlich ein Ohr für solche Fragen, und vermutlich auch deshalb war es bei der zweiten "bücher.macher"-Nacht im Haus des Buches ungewohnt voll. In der Diskussionsrunde mit dem Thema "Buchgestaltung = Produktdesign?" blieb ein Duell aber aus. Im Gegenteil. Die sechs Herren auf dem Podium waren sich im Grunde einig, daß es eigentlich egal ist, ob man das so oder so nennt - ein Ettikettenstreit. DuMont-Chef Gottfried Honnefelder, der gerade mit einer neuen Belletristik-Reihe auf dem Markt klappern geht, hat schon deshalb "überhaupt nichts" gegen die Vokabel Produktdesign. Seine Kollegen auch nicht.

Da war es viel interessanter, über das Aussehen von Büchern in den Zeiten der Bilderflu zu sprechen. Vorstellen kann man sich ja allerhand. Aber wie geht es einem Verleger, der den mit diffusem Hunger durch Buchhandlungen streunenden "wilden leser" fangen möchte und sich überlegen muß, wie? Die Branche blicke lieber auf "bekanntes Elend" als auf unbekannte Freuden", urteilte Victor Malsy. Dem neuen Mann aus Bremen, der mit seinem Partner Rainer Groothuis seit zwei Jahren Verlage berät, sind die gängigen Optiken zu konservativ. Er sieht so etwas wie eine neue Schlichtheit wiederkommen: "Less is more".

Klaus Wagenbach, der Toscana-Linke unter den deutschen Verlegern, spricht in diesem Zusammenhang vom "Persil"-Problem. Was bei Waschmittel funktioniere, sei für Bücher der Tod: Eingeführtes bleibe nämlich irgendwann liegen. Deshalb gibt es bei Wagenbach alle acht bis zehn Jahre "neue Hosen" für die Titel. Wagenbachs nicht anwesender Kollege Siegfried Unseld (Suhrkamp), der das Verpackungs-Geschäft besonders ausgiebig betreibt, hat deshalb schon als "Christo des deutschen Verlagswesens" von sich reden gemacht. Ein alter Walser darf eben nicht wie ein alter Walser aussehen.

Was sich alles anstellen läßt mit zwei Buchdeckeln und dem, was dazwischen vorkommt, wird seit gestern ebenfalls im Haus des Buches gezeigt. Das Gestalter-Duo Groothuis und Malsy hat Hervorbringungen aus seiner Bremer Designer-Werkstatt mitgebracht und in einer schönen Ausstellung aufgebaut. Zu sehen ist darin allerlei, was sich wohltuend von Massenware unterscheidet. Beispielsweise Wagenbachs Rote Reihe, schlichte Postkarten mit Aufdrucken wie "Lackaffe" oder "Blechschwätzer" oder die neuen DuMont-Romane, deren auffaltbare Einbände auch als Poster herhalten können.

Für das Leipziger Stadtmagazin "Kreuzer" (8/1998) begleitet Anne Kundt die "Ausflüge der Büchermacher":

Zwei rote Punkte auf dem grünen Rasen hinter dem Haus des Buches wurden zum Blickfang: Klaus Wagenbachs Socken. Sie leuchteten programmatisch-unkonventionell in die Runde der Büchermacher und -liebhaber, die bei Bier und Steaks die Podiumsdiskussion auswerteten. "Buchgestaltung = Produktdesign?" Ja, bis hin zur Fußbekleidung des Verlegers.

Die lockere Runde ist Konzept. Vor gut einem halben Jahr starteten der Börsenverein und das Kuratorium Haus des Buches die Reihe "bücher.macher - Unterwegs in der deutschen Verlagslandschaft". Unterwegs sind sie seitdem in der Vielfalt der deutschen Bücherlandschaft. Vor allem kleinere und mittlere Verlage, die nicht so ohne weiteres die Scheinchen für (Bestseller-) Rechte und Lizenzen hinblättern können, überraschen durch Ideenreichtum, Ausgefallenheit, Nischenbewußtsein und natürlich Mut. (...) "bücher.macher" präsentiert die Verlage aus den unterschiedlichsten Regionen nicht im luftleeren Raum. Die Abende werden zum Fest...

Das Ambiente zeugte von einem phantastischen Gedanken, und es bleibt zu wünschen, daß es den Veranstaltern gelingt, ihn auszubauen: Leipzigs einzelne Buchbereiche, die real vorhandenen "Büchermacher", schon im Vorfeld zur gemeinsamen Ausgestaltung zu bewegen. HGB, HTWK, das Literaturinstitut, die Polygrafen... jeder sitzt letztendlich an ein und demselben Produkt: an Büchern. Warum also sollten sie nicht zusammen übergreifende Veranstaltungen planen?