bücher.macherunterwegs in der deutschen verlagslandschaft












bücher.macher #1
„Wie überlebt man gute Bücher?“

Ein Novemberfest mit dem Verlag Antje Kunstmann (München) und dem MaroVerlag (Augsburg)
am 20. 11. 1997 im Haus des Buches (Saal)

17 Uhr:
Diskussionsrunde mit den Verlegern Antje Kunstmann, München und Benno Käsmayr, Augsburg, dem Verlagsvertreter und Herausgeber Armin Abmeier, Heidelberg und der Illustratorin und Buchgestalterin Rotraut Susanne Berner, Heidelberg

20 Uhr: Lesung und Gespräch mit den Autoren Franz Maria Sonner, München und Thomas C. Breuer, Heidelberg

Moderation: Michael Krüger, München

Schallplattenunterhaltung: Hausmusik, Landsberg/Lech


Überraschung! Ein R.S.B.-Fax

„Wie überlebt man gute Bücher?“ - So fragte Klaus Wagenbach 1989 - rein rhetorisch, versteht sich, denn im September eben dieses Jahres feierte der Verlag in der Berliner Ahornstraße seinen 25. Geburtstag. Vorbei die Zeiten, da sich Debütprogramme durch den Verkkauf von Grünflächen finanzieren lassen. Aktuell bleibt Wagenbachs Frage allemal - in einer Zeit, in der mit bloßem Blick auf die Bestsellerqualitäten eines Buchs Millionen bewegt werden, in der Geld alles, Inhalte kaum noch etwas zu bedeuten scheinen. Für kleinere und mittlere Verlage, die beim großen Scheckbuch-Poker um Rechte und Lizenzen weder mithalten wollen noch können, stellt sie sich mit besonderem Nachdruck. Die Antworten, die sie mit Wagemut, Beharrlichkeit, Phantasie und dem nötigen Quentchen Glück seit Jahren immer aufs neue finden, erreichen uns, die Leser, in Form von Büchern: Hin und wieder läßt ein Bestseller aufhorchen; viele Titel, in den Feuilletons gelobt, tun sich in den Erlebniszonen der Buchhandlungen schwer. Dennoch machen gerade sie die Vielfalt unserer Bücherlandschaft aus.

Diese Vielfalt, die von Buchhandel und literarisch interessierter Öffentlichkeit in den neuen Bundesländern erst langsam wahrgenommen wird, wollen Börsenverein und Kuratorium „Haus des Buches“ in der neuen Reihe bücher.macher - Unterwegs in der deutschen Verlagslandschaft“ präsentieren. Der Osten liest, noch immer, anders. Dies gilt auch für die Aufmerksamkeit gegenüber bestimmten Verlagen und Programmen. Viele der kleineren Verlage der alten Bundesrepublik, die sich seit den bewgten Endsechzigern mit ihrer Leserschaft wandelten, genießen im Osten noch immer den Status eines Geheimtipts. Ein Schicksal, daß sie paradoxerweise mit mancher interessanten Neugründung zwischen Ostsee und Erzgebirge teilen. In spannenden Konstellationen wird bücher.macher Verlage mit unverwechselbarem Gesicht aus unterschiedlichsten Regionen des Landes nach Leipzig holen und erstmals in größerem Rahmen vorstellen. Geplant ist jedoch keine Verlagspräsentation nach üblichem Strickmuster. Der Werkstattcharakter von bücher.macher will möglichst unverstellte Einblicke in den Verlagsalltag geben. (...)

Am Anfang steht, fern aller krachlederner Assoziationen, ein Ausflug nach Bayern - ein „Novemberfest“ mit dem Verlag Antje Kunstmann (München) und dem MaroVerlag (Augsburg). Benno Käsmayr, der seine Verlegerlaufbahn 1969 in einer Gersthofener Dachkammer mit einer Schreibmaschine und fünf Leitz-Ordnern begann, führte Maro vom Sponti-Unternehmen bayrischer Gymnasiasten zu einer der wichtigsten Adressen für amerikanische Gegenwartsliteratur. Antje Kunstmann stieg 1976, studentenbewegt und ohne eigenes Kapital, zusammen mit Peter Weissmann ins Verlagsgeschäft ein. Sie entdeckte Fay Weldon und Alice Walker, bevor diese die Bestsellerlisten stürmten und von großen Häusern weggeschnappt wurden. Ihr Gespür für literarische Entdeckungen schlägt sich auch in Verkaufszahlen um: Mit Axel Hackes „kleinem Erziehungsberater“ etwa erzielte der Verlag veritable Erfolge, Liana Millus „Der Rauch über Birkenau“ schaffte gar den Sprung ins „Literarische Quartett“. Der Verlagsvertreter Armin Abmeier, der für Maro die bibliophil ausgestatteten „Tollen Bücher“ und „Tollen Hefte“ herausgibt, sowie die Illustratorin und Buchgestalterin Rotraut Susanne Berner komplettieren die Runde. Beim literarischen Part des Abends kommen zwei Autoren zu Wort: Franz Maria Sonner, der mit dem Roman „Als die Beatles Rudi Dutschke erschossen“ erfolgreich bei Kunstmann debütierte, und Thomas C. Breuer, dessen lange vergriffenes Kultbuch „Säntimentls Reise“ eben von Maro neu aufgelegt wurde.

Der Kreis schließt sich: Im bewegten Jahr 1968, das Rohmaterial für Texte von Sonner und Bräuer liefert, waren Käsmayr und Kunstmann noch studenten. Michael Krüger brachte damals, zusammen mit Wagenbach, den ersten „Tintenfisch“ heraus. Der Hanser-Verlagsleiter, der sich die Neugier für die Arbeit der „Kleineren“ bewahrt hat, wird den Abend moderieren. Zum Novemberfest wird das kühle Ambiente im Haus des Buches optisch und Akustisch gegen den Strich gebürstet: Mit ihrem Professor Volker Pfüller (Berlin) gestalten Studenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) die Räume; für Schallplattenunterhaltung sorgt ein Independent-Label aus dem bayrischen Landsberg mit dem passenden Namen: Hausmusik. ("Viel Werkstattflair", BÖRSENBLATT 91, 14. November 1997)

„In Leipzig geht‘s los“, freut sich „BuchMarkt“-Kolumnist Ekkehard Faude (11/97) schon vorab. Der Buchhändler und Libelle-Verleger weiter:

(...) Der Auftakt am 20. November macht keine Konzessionen an Qualität: Leipzig empfängt Bayern, und zwar mit den beiden innovativsten Independents Antje Kunstmann (München) und Benno Käsmayr von Maro (Augsburg). Und damit das nicht nach gewohntem Strickmuster abläuft, werden die Fragen an die beiden Verlagsköpfe von einem gerühmten und erfolgreichen großen Bruder gestellt: In diesem Fall wird Michael Krüger vom Hanser Verlag moderieren. Ein hochkarätiger Erfahrungsaustausch kann da öffentlich werden... (...) Zu sehen gibt es natürlich eine Buchausstellung der beteiligten Verlage, und am Abend wird je ein Autor noch lesen: Gut möglich, daß in den angefeuchteten Gesprächen danach ein Highlight des Vortages zur Sprache kommt. Geplant ist nämlich ein Workshop über Flachdruckgrafik. Eigentlich könnte da ein Insider-Zirkel von Maro sein freundschaftliches Arbeitstreffen (zu deutsch: wörkschop), das bislang immer am Buß- und Bettag in Augsburg stattgefunden hat, nach Leipzig exportieren. Ob es trotz feiertäglicher Technikruhe zur Demonstration kommen kann? Keine Ahnung. Aber auch wenn‘s nur beim öffentlichen Austausch von Worten über Farbe und Druck bleiben sollte...: Es treffen sich die illustren Namen, denen die „Tollen Hefte“ ihre unverwechselbare Gestaltung verdanken: Rotraut Susanne Berner, Yvonne Kuschel und Henning Wagenbreth (der das Plakat für die Veranstaltung übernimmt) sind mit dabei, und natürlich auch Volker Pfüller, dessen Lehrtätigkeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst ohnehin gerade anfängt. (...)

Dank freundlicher Helfer kommt es zum avisierten „wörkschop“, und das „trotz feiertäglicher Technikruhe“. Die Druckwerkstatt der HGB wird am sächsischen Buß- und Bettag unter beinahe-konspitativen Begleitumständen geentert - die Beteiligten schwärmen noch heute. Nicht „zur Demonstration“ kommt jedoch Maro-Autor Thomas C. Breuer - er ist auf zunächst unerklärliche Weise irgendwo zwischen Heidelberg und Leipzig verlorengegangen. Für das Novemberfest bedeutet Breuers Ausfall eine Premiere der besonderen Art, über die das BÖRSENBLATT in einem Beitrag zum „Leipziger literarischen Herbst“ 1997 berichtet (Bob Marley und der Provinzmuff“, BÖRSENBLATT 96/2. Dezember 1997):

„Ein glänzend aufgelegter Hanser-Verleger ließ zum Start der von Börsenverein und Kuratorium „Haus des Buches“ initiierten Reihe „bücher.macher“ im Gespräch mit Antje Kunstmann, Benno Käsmayr, Rotraut Susanne Berner und Armin Abmeier Lust und Frust eines der schönsten Berufe der Welt lebendig werden. Quasi als Zugabe las Michael Krüger dann noch für den von einer Grippe gefällten Maro-Autor Thomas Breuer: Bob Marley und die jamaikanische Fußball-Nationalmannschaft als exotisches Initiationserlebnis zweier Halbwüchsiger im Provinzmuff der Adenauer-Ära.“

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Einziger Wermutstropfen der ersten bücher.macher-Nacht: Obwohl Michael Krüger nach seiner Lesung den vollbesetzten Saal persönlich zur Party bittet, legen Marion und Andreas Gerth vom Landsberg-Weilheimer Hausmusik-Label (Sie: Sängerin und Bassistin von Fred is Dead, Er: Teil der Band Tied and Tickled Trio, beide gestalteten und druckten darüber hinaus eine Vielzahl von Plattencovern und Plakaten der Labelgemeinschaft Hausmusik/Kollaps/Payola und betreiben gemeinsam das Lo-Fi-Projekt Torkanta Loy) anschließend vor weniger als einem Dutzend Freunden feiner Schallplattenunterhaltung auf - das Literaturcafé hat die Partyzone bereits besenrein gemacht. Schade - beim nächsten Mal läuft‘s besser. Real Audio Hörprobe: Torkanta Loy - "pothos himeros" vom Hausmusik-Sampler "Festplatte"

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